Neuer Mechanismus entdeckt: So versorgt das Gehirn sich mit Energie

Neuer Mechanismus entdeckt: So versorgt das Gehirn sich mit Energie

Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Wissenschaftlern des University College London hat einen wichtigen Mechanismus entdeckt, der dem Gehirn bei Bedarf einen zusätzlichen Energieschub liefert. Die in der renommierten Fachzeitschrift Nature veröffentlichte Studie könnte neue Therapieansätze zur Erhaltung der Gehirngesundheit im Alter ermöglichen.

Astrozyten als Energieversorger des Gehirns

Das menschliche Gehirn ist ein energieintensives Organ. Milliarden von Nervenzellen arbeiten zusammen, um Bewegungen zu steuern, Lernen zu ermöglichen und Erinnerungen zu bilden. Doch wie stellt das Gehirn sicher, dass ausreichend Energie genau dorthin gelangt, wo sie gerade benötigt wird?

Astrozyten: Die versteckten Energiehelfer im Gehirn

Eine Schlüsselrolle spielen dabei sogenannte Astrozyten, sternförmige Zellen im Gehirn, die zur Gruppe der Gliazellen gehören. Lange Zeit galten sie lediglich als „Stützzellen“ für die Nervenzellen, doch mittlerweile weiß man, dass sie weit mehr können. Astrozyten erfüllen nicht nur strukturelle Aufgaben, sondern sind auch aktiv am Energiestoffwechsel des Gehirns beteiligt.

Wenn Nervenzellen – zum Beispiel beim Lernen, Denken oder in Stresssituationen – plötzlich mehr Energie benötigen, springen die Astrozyten ein: Sie besitzen eigene Glukosespeicher, die sie aktivieren können, um daraus Laktat zu produzieren. Dieses Laktat wird dann gezielt an die Neuronen abgegeben und dient ihnen als schnell verfügbare Energiequelle. Man spricht hier auch vom sogenannten "Astrozyten-Neuronen-Laktat-Shuttle", einem genialen Mechanismus, der sicherstellt, dass das Gehirn auch bei hoher Belastung stabil weiterarbeiten kann.

Neue Studien zeigen außerdem, dass dieser Prozess noch viel komplexer reguliert ist als bislang angenommen – unter anderem durch das Signalmolekül Adenosin, das wie ein Schalter wirkt, um die Energieproduktion in den Astrozyten hochzufahren.

Die Rolle von Adenosin in der Hirnenergieversorgung

Forscher haben herausgefunden, dass sich auf den Astrozyten bestimmte Rezeptoren befinden, die auf Adenosin reagieren. Wenn Nervenzellen besonders aktiv sind – zum Beispiel beim Lernen, Denken oder Erinnern –, steigt die Konzentration von Adenosin in ihrer Umgebung. Dieses Molekül wirkt wie ein Botenstoff: Es signalisiert den Astrozyten, dass jetzt mehr Energie benötigt wird.

Als Antwort darauf starten die Astrozyten eine Art Notfallprogramm. Sie greifen auf ihre Glukosespeicher zurück und produzieren daraus Laktat – ein Stoff, den die Nervenzellen direkt als zusätzliche Energiequelle nutzen können. Dieser Mechanismus ist vergleichbar mit dem, was in unseren Muskeln und in der Leber passiert, wenn wir Sport treiben: Auch dort hilft Adenosin, Energiereserven schnell zu mobilisieren.

Besonders spannend ist, dass dieser Prozess nicht nur kurzfristig hilft. Die Studie zeigte: Wenn dieser Adenosin-gesteuerte Signalweg gestört wird – wie in Versuchen mit Mäusen –, kommt es zu spürbaren Problemen. Die Tiere zeigten Gedächtnisschwächen, Schlafstörungen und eine verlangsamte Gehirnaktivität. Das unterstreicht, wie wichtig ein gut funktionierender Energiestoffwechsel für unsere kognitiven Fähigkeiten und unser allgemeines Wohlbefinden ist.

Diese neuen Erkenntnisse verdeutlichen, wie essenziell ein reibungsloser Energiestoffwechsel für die Gehirnfunktion ist. Doch gibt es Möglichkeiten, diesen Mechanismus gezielt zu unterstützen?

Unterstützung der Astrozyten durch Polyphenole

Immer mehr Studien zeigen: Sekundäre Pflanzenstoffe, allen voran Polyphenole, haben erstaunliche Fähigkeiten, unser Gehirn zu schützen und seine Energieversorgung zu unterstützen. Bestimmte sekundäre Pflanzenstoffe können eine schützende und regulierende Funktion im Astrozytenmetabolismus haben. Sie wirken nicht nur entzündungshemmend, sondern fördern auch die metabolische Flexibilität der Astrozyten und unterstützen so die Energieversorgung der Nervenzellen:

  • Resveratrol: Resveratrol ist ein Polyphenol, das vor allem in roten Trauben, Beeren und Rotwein vorkommt. Eine Langzeitstudie mit alternden Ratten zeigte: Wird Resveratrol über längere Zeit gegeben, bleiben wichtige Gehirnzellen – nämlich Astrozyten im Hypothalamus – deutlich fitter. Sie zeigen weniger oxidativen Stress, sind besser gegen Entzündungen geschützt und behalten ihre Energieproduktion bei. Resveratrol aktiviert dabei mehrere wichtige Signalwege, die für das zelluläre Gleichgewicht entscheidend sind – unter anderem solche, die auf Adenosinrezeptoren, SIRT1, Nrf2 und PGC-1α basieren. All diese Faktoren sind bekannt dafür, dass sie Zellalterung bremsen und die Gehirnleistung im Alter stabilisieren können.

  • Quercetin: Auch Quercetin, ein Flavonoid aus Zwiebeln, Äpfeln und Beeren, hat entzündungshemmende Eigenschaften – besonders bei aktiviertem Stress im Gehirn. In Versuchen mit Astrozyten von Ratten konnte gezeigt werden, dass Quercetin entzündungsfördernde Botenstoffe wie IL-1β und IL-6 senkt, gleichzeitig aber den antioxidativen Schutzmechanismus über das Enzym Hämoxygenase-1 (HO-1) ankurbelt. Außerdem beeinflusst Quercetin bestimmte Signalwege, die Entzündungen im Gehirn steuern – sogenannte MAP-Kinasen wie p38 und ERK1/2. Das deutet auf eine regulierende Wirkung hin, die langfristig zu einem ruhigeren, gesünderen Zellmilieu beitragen kann.

  • Taurin: Eine weniger bekannte, aber ebenso spannende Substanz ist Taurin, das vor allem in Fleisch, Fisch und Energydrinks vorkommt. Wenn Taurin im Körper mit bestimmten reaktiven Molekülen reagiert, entsteht Taurinchloramin (Tau-Cl) – ein Stoff mit entzündungshemmender und antioxidativer Wirkung.

    Tau-Cl aktiviert den sogenannten Nrf2-Signalweg, der die Produktion von Schutzenzymen wie HO-1 in Astrozyten anregt. So können diese Zellen besser mit oxidativem Stress und Entzündungen umgehen – etwa bei Infektionen, Verletzungen oder altersbedingtem Zellabbau.

  • Kreatin: Kreatin ist vor allem aus dem Sportbereich bekannt, doch auch für das Gehirn spielt es eine wichtige Rolle – insbesondere in den energieliefernden Astrozyten. In diesen Zellen dient Kreatinphosphat (CrP) als schneller Energiespeicher, der bei Bedarf ATP regeneriert, wenn die zelluläre Energieproduktion ins Stocken gerät. Studien mit Astrozytenkulturen zeigen, dass Kreatin die zellulären CrP-Spiegel deutlich erhöht und damit die Energiereserven der Zelle stärkt – ohne die ATP-Menge selbst zu beeinflussen. In Situationen mit eingeschränkter Glukoseversorgung oder gestörter Zellatmung wird zuerst das CrP verbraucht, um den ATP-Spiegel stabil zu halten. Diese Pufferfunktion macht Kreatin zu einem wichtigen Unterstützer der neuronalen Energieversorgung und könnte insbesondere bei Energiekrisen im Gehirn – etwa durch Stress, Schlafmangel oder Alterung – eine neuroprotektive Rolle spielen.

 

Fazit

Die aktuelle Studie zeigt, wie wichtig ein gut regulierter Energiemetabolismus für die Gehirngesundheit ist. Die gezielte Aktivierung des neu entdeckten Signalwegs könnte eine neue Strategie zur Prävention und Behandlung von kognitivem Abbau darstellen. Ergänzend dazu bieten bestimmte sekundäre Pflanzenstoffe sowie Kreatin und Taurin vielversprechende Ansätze zur Unterstützung der Astrozytenfunktion. 

 

Orignalpublikation
Shefeeq M. Theparambil, Olga Kopach, Alice Braga, Shereen Nizari, Patrick S. Hosford, Virag Sagi-Kiss, Anna Hadjihambi, Christos Konstantinou, Noemi Esteras, Ana Gutierrez Del Arroyo, Gareth L. Ackland, Anja G. Teschemacher, Nicholas Dale, Tobias Eckle, Petros Andrikopoulos, Dmitri A. Rusakov, Sergey Kasparov, Alexander V. Gourine. Adenosine signalling to astrocytes coordinates brain metabolism and function. Nature, 2024; DOI: 10.1038/s41586-024-07611-w

 

Weitere Referenzen: 
Grabarczyk M, Ksiazek-Winiarek D, Glabinski A, Szpakowski P. Dietary Polyphenols Decrease Chemokine Release by Human Primary Astrocytes Responding to Pro-Inflammatory Cytokines. Pharmaceutics. 2023 Sep 7;15(9):2294. doi: 10.3390/pharmaceutics15092294. PMID: 37765263; PMCID: PMC10537369.
Sovrani V, Bobermin LD, Santos CL, Brondani M, Gonçalves CA, Leipnitz G, Quincozes-Santos A. Effects of long-term resveratrol treatment in hypothalamic astrocyte cultures from aged rats. Mol Cell Biochem. 2023 Jun;478(6):1205-1216. doi: 10.1007/s11010-022-04585-z. Epub 2022 Oct 22. PMID: 36272012.
Arpita R. Dave, Prakash P. Pillai, Anti-inflammatory effects of quercetin in lipopolysaccharide-activated cortical astrocytes, Brain Behavior and Immunity Integrative,
Volume 8, 2024, 100095, ISSN 2949-8341, https://doi.org/10.1016/j.bbii.2024.100095.
Spagnuolo C, Moccia S, Russo GL. Anti-inflammatory effects of flavonoids in neurodegenerative disorders. Eur J Med Chem. 2018 Jun 10;153:105-115. doi: 10.1016/j.ejmech.2017.09.001. Epub 2017 Sep 7. PMID: 28923363.
Karger G, Berger J, Dringen R. Modulation of Cellular Levels of Adenosine Phosphates and Creatine Phosphate in Cultured Primary Astrocytes. Neurochem Res. 2024 Feb;49(2):402-414. doi: 10.1007/s11064-023-04039-y. Epub 2023 Oct 19. PMID: 37855866; PMCID: PMC10787699.
Seol SI, Kang IS, Lee JS, Lee JK, Kim C. Taurine Chloramine-Mediated Nrf2 Activation and HO-1 Induction Confer Protective Effects in Astrocytes. Antioxidants (Basel). 2024 Jan 29;13(2):169. doi: 10.3390/antiox13020169. PMID: 38397767; PMCID: PMC10886344.
Singh AA, Katiyar S, Song M. Phytochemicals Targeting BDNF Signaling for Treating Neurological Disorders. Brain Sci. 2025 Feb 27;15(3):252. doi: 10.3390/brainsci15030252. PMID: 40149774; PMCID: PMC11939912.

1 Kommenta

  • Anke am

    Ich finde die Informationen mega spannend und so aufbereitet, dass man es auch als medizinischer Laie gut versteht. Dank des Podcast mit Nina Ruge und Dr. Brysch bin auf die Produkte aufmerksam geworden. Ich freue mich auf weitere Informationen und Neuigkeiten. Danke!

Kommentieren

Erhalte die neuesten wissenschaftlichen Durchbrüche und Innovationen direkt in dein Postfach